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21. 11. 2014 Druckversion | Artikel versenden| Kontakt

Von Starbucks, Stubenhockern und Schriftzeichen – Chinesischlernen mal anders mit der Website "Niu Zhongwen"

Schlagw?rter: Sprachlernseite, Kultur

von Xu Bei

Plagiate, Neureiche und übriggebliebene – die Sprachlernseite new-chinese.org stellt nicht nur Trendw?rter aus Chinas Alltags-, Internet- und Mediensprache vor, sondern auch die Geschichten dahinter. Die junge Deutsche Verena Menzel gründet die Seite im November 2013 mit einer chinesischen Freundin. Mit einem deutsch-chinesischen Team gibt sie seither sprachlichen Einblick in Chinas Gesellschaft und moderne st?dtische Kultur. Im Interview mit der Beijing Rundschau erz?hlt sie, wie es dazu kam...

BR: Verena, du betreibst seit November 2013 gemeinsam mit einem deutsch-chinesischen Team die Chinesischlernseite "Niu Zhongwen" (new-chinese.org). Kannst du uns das Projekt kurz vorstellen?

Menzel: Niu Zhongwen ist eine deutschsprachige Onlineplattform, die sich rund um die moderne chinesische Sprache und Kultur dreht. Dort stellen wir neue Begriffe und Redewendungen aus der chinesischen Alltagssprache, aus Medien, Musik, Filmen und TV-Shows sowie der chinesischen Internet- und Bloglandschaft vor. Ziel ist es, über die Sprache einen Einblick in das moderne China zu geben, jenseits von Pekingoper, Scherenschnitt und Teezeremonie.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Niu Zhongwen zu gründen?

Ich habe mir irgendwann überlegt, was mir selbst damals am meisten gefehlt hat, als ich angefangen habe, Chinesisch zu lernen. Für uns Deutsche bzw. Deutschmuttersprachler ist China eben doch ein sehr exotisches Pflaster und das Chinesische eine Fremdsprache, die sich sehr stark von unseren indoeurop?ischen Fremdsprachen unterscheidet, die wir in der Schule lernen. Das ist einerseits natürlich spannend, andererseits ist es anfangs aber auch manchmal schwierig, einen Zugang zu finden.

Woran liegt das?

Die Schriftzeichen zum Beispiel stellen natürlich eine gro?e Barriere dar. Wenn man als Anf?nger versucht, sich auf einer chinesischsprachigen Internetseite zu orientieren, m?chte man am liebsten schreiend davonlaufen. Man beherrscht vielleicht gerade einmal ein paar hundert Zeichen, kann also teilweise noch nicht mal die Rubriknamen entziffern. Au?erdem sind auf vielen chinesischen Internetseiten die Informationen meist viel dichter gedr?ngt, als bei uns. Hier gibt es sicher auch kulturelle Unterschiede, was Gestaltung und Layout angeht. Es ist für Chinesischlerner deshalb gerade am Anfang ?u?erst schwierig, sich selbst einen Zugang zu authentischen und vor allem interessanten Sprachmaterialien zu verschaffen. Niu Zhongwen will hier ein Fenster ?ffnen und eine Orientierung geben, zum Beispiel in dem wir Filme, Kurzfilme und Songs ausw?hlen und empfehlen und sie lerngerecht aufbereiten. Als ich selbst angefangen habe, Chinesisch zu lernen, gab es so etwas in deutscher Sprache nicht und ich h?tte mir gewünscht, dass mir jemand etwas Recherchearbeit abnimmt.

Wie hast du denn selbst Chinesisch gelernt?

Nachdem ich Ende 2005 in den Semesterferien einen dreiw?chigen Chinesisch-Intensivkurs in Witten-Herdecke besucht hatte, war ich sofort Feuer und Flamme und habe neben meinem regul?ren Studium in Mainz Chinesischkurse an der Sinologie in Frankfurt besucht. Den Gro?teil meiner Sprachkenntnisse habe ich allerdings au?erhalb des Klassenraumes erworben, mit chinesischen Studenten, die ich mir als Sprachpartner geschnappt habe. Davon gab es in meiner Heimatstadt Darmstadt jede Menge. Sie haben mir nicht nur viel über Land und Leute erz?hlt und mit mir Feuertopf gekocht, sondern mir eben auch chinesische Songs und Cartoons empfohlen, die sie selbst mochten. Einen Gro?teil meiner Fortschritte in der Anfangsphase habe ich diesem pers?nlichen Austausch und der in China beliebten chinesischen Version der Animee-Serie Crayon Shin-chan (蠟筆小新) zu verdanken. Nach meinem Magisterabschluss bin ich dann noch einmal für eineinhalb Jahre zum Chinesischstudium an die Zhejiang University in Hangzhou.

Wie seid ihr denn auf den chinesischen Namen Niu Zhongwen gekommen und was bedeutet er?

"Zhongwen" bedeutet "Chinesische Sprache", und "niu" eigentlich "Rind", "Kuh" oder "Büffel", so zumindest wird man es in den meisten W?rterbüchern finden. In der Alltags-, Jugend- und Internetsprache tr?gt der Begriff aber mittlerweile auch Bedeutungen wie "cool", "echt fett" oder "voll geil". Da unser Hauptanliegen war, Inhalte zu schaffen, die Spa? machen sollen und zum Weiterlernen animieren, haben wir die Seite Niu Zhongwen getauft und einen Büffel als Maskottchen gew?hlt. Au?erdem ?hnelt "niu" klanglich dem englischen Wort "new", weshalb wir dem chinesischen Namen den englischen Titel "New Chinese" zur Seite gestellt haben. Auch viele chinesische Firmen arbeiten bei der Namensfindung mit ?hnlichen Wort- und Klangspielereien, wir sind also sehr chinesisch vorgegangen.

Was ist denn das "Neue" an euer Seite? Worin unterscheidet ihr euch von bestehenden Chinesischlernseiten im Netz?

Vor allem im deutschsprachigen Raum gibt es online nur wenige kostenlose Chinesischlehrmaterialien. Und vieles von dem, was angeboten wird, spielt sich zudem auf dem Anf?ngerlevel ab und hat eher den Charakter von Reisechinesisch. Au?erdem haben die Lehrangebote kaum einen Bezug zum aktuellen Geschehen in China. Wir wollten keinen weiteren Flughafen-Postamt-Geldumtausch-Kurs ins Netz stellen und auch keinen weiteren verkl?rt-romantischen Scherenschnitt der Volksrepublik basteln, sondern unterhaltsame und aktuelle Materialien kreieren, die gleichzeitig auch einen Einblick in das moderne Leben in Chinas Metropolen geben. Ein junger chinesischer Gro?st?dter wird heute eben eher einen Kaffee bei Starbucks bestellen, sich dann eine chinesische Actionkom?die im Kino ansehen und anschlie?end bei einem Konzert seiner Lieblingspunkband ein Tsingtao trinken, als Grüntee schlürfend mit Seidenf?cher einer Aufführung der Pekingoper zu lauschen. Ich glaube, dass sich Interesse und Begeisterung sowohl über Unterschiede als auch über Gemeinsamkeiten wecken lassen. Und eine gewisse Begeisterung ist einfach n?tig, um beim Chinesischlernen am Ball zu bleiben, weil eben doch ein gro?er und kontinuierlicher Lernaufwand n?tig ist, um im Chinesischen ein gewisses Sprachniveau zu erreichen. Viele Lerner steigen nach dem Anf?ngerlevel schon wieder aus. Wir wollen motivieren, weiterzumachen.

Anders als viele herk?mmliche Angebote zum Chinesischlernen stellt ihr auch ganz aktuelle chinesische W?rter aus der Internet-, Medien- und Alltagssprache vor. Ist es denn deiner Meinung nach für Lerner überhaupt nützlich und sinnvoll, solche Trendw?rter zu lernen? Und wenn ja, warum?

Man kann als Lerner natürlich sagen, es reicht mir, wenn ich wei?, was in meinen Lehrbuch steht und was für die HSK-Prüfung wichtig ist. Aber über neu aufkommende Begriffe erh?lt man nicht nur einen Einblick in die Entwicklung der Sprache, sondern auch in das momentane Geschehen in der chinesischen Gesellschaft. Au?erdem erschlie?en sich mit der Besch?ftigung mit solchen Begriffen oft ganz neue Denkmuster und Ph?nomene, die wir in unseren Breiten vielleicht gar nicht so kennen oder ganz anders einordnen. Deshalb lassen sich manche der Begriffe auch nur schwer genau übersetzen. Nehmen wir zum Beispiel den Begriff des "Zhainan" (宅男), der in den letzten Jahren in China popul?r geworden ist. Im Deutschen bedeutet er soviel wie "Stubenhocker" oder manchmal auch "Computernerd", nur dass anders als im Deutschen im Chinesischen nicht grunds?tzlich eine negative Konnotation mitschwingt. Das Wort bezeichnet einfach jemanden, der sich lieber mit Laptop oder einem Buch zuhause verkriecht, als sich ins Gewühl au?erhalb seiner vier W?nde zu stürzen mit all dem L?rm, der schlechten Luft und auch dem teils komplizierten Beziehungsgeflecht und den daraus folgenden zwischenmenschlichen Verpflichtungen, die es in China nun mal viel st?rker gibt als bei uns. Dadurch, dass man versucht, "Zhainan" ins Deutsche zu übersetzten und den Begriff auch zu verwenden, macht man ein regelrechtes Fass auf, dass viele neue Fragen aufwirft. Dabei lernt man sicher viel und bekommt auch Lust auf mehr.

Auf eurer Seite stellt ihr auch chinesische Filme, Pop-Musik, Videos und Kurzfilme vor. Gibt es bei euch einen Standard, nachdem ihr das Material ausw?hlt? Und hast du alle vorgestellten Filme und Videos selbst gesehen bzw. die Musik selbst geh?rt?

Grunds?tzlich gilt, dass wir das vorstellen, was uns selbst gef?llt und was zudem in China nicht v?llig unbekannt ist. Alles wird vorab gesichtet bzw. geh?rt, weshalb wir auch nicht jeden Tag im Akkord eine neue Serie oder einen neuen Kurzfilm auf die Seite stellen. Die Vorauswahl nimmt schon sehr viel Zeit in Anspruch. Im Musikbereich zum Beispiel unterscheidet sich der westliche Geschmack doch teilweise stark vom chinesischen Mainstream. Deshalb nehmen wir uns nicht einfach Platz eins der chinesischen Download-Charts vor und übersetzten den Titel, sondern suchen nach Nummern, die in beiden Kulturkreisen ankommen. Davon gibt es tats?chlich jede Menge! Gerade im Musikbereich glauben viele Ausl?nder, die zum ersten Mal nach China kommen, es gebe hier nur Mandarin-Pop, Schnulzballaden und traditionelle Volkslieder. Wenn man genauer hinsieht, stimmt das einfach nicht. Und hier sind wir wieder an dem Punkt, an dem die Sprachbarriere eine gro?e Rolle spielt, da sie die eigenen Recherchen im Netz oft behindert. Wir wollen eine kleine Vorauswahl bieten.

Habt ihr ein Konzept, wer euer Zielpublikum ist?

Grunds?tzlich richtet sich die Seite an jeden, der Spa? an der chinesischen Sprache und ein Interesse an China hat. Da gibt es sicherlich keine Altersgrenze. Wir hatten auch schon eine Zuschrift von einem 75-J?hrigen. Die meisten unserer User sind allerdings Studenten, junge Berufst?tige und auch immer mehr Schüler.

Wird es deiner Meinung nach in Zukunft denn immer mehr deutschsprachige Chinesischlerner und Menschen, die sich für China oder die chinesische Kultur interessieren, geben?

Ich pers?nlich denke ja! Chinas Einfluss in der Welt w?chst, was sicher viele Menschen dazu bewegen wird, st?rker nach China zu schauen. Der Trend zeigt sich schon allein daran, dass mittlerweile die ersten Studieng?nge für Chinesisch auf Lehramt in Deutschland eingeführt wurden. Ich glaube, dass vor allem an den Gymnasien die Zahl der Chinesischlerner in den n?chsten Jahren deutlich steigen wird.

Was ist für dich als Herausgeberin und Chefredakteurin deine ganz pers?nliche Zukunftsvision für die Seite?

Erstmal soll die Seite in den n?chsten Monaten noch interaktiver werden, hierfür haben wir schon einige Dinge in der Schublade liegen. Au?erdem wollen wir noch mehr Angebote speziell für Anf?nger kreieren. In ferner Zukunft hoffen wir, dass wir unseren Usern vielleicht auch offline das Reich der Mitte n?her bringen k?nnen, zum Beispiel über ein Niu Zhongwen-Sommercamp hier in Beijing oder ?hnliche Events, bei denen die Lerner mit China direkt auf Tuchfühlung gehen k?nnen. Aber das ist bisher noch Zukunftsmusik.

Verena, viel Erfolg für die Zukunft und danke für das Gespr?ch!

 

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Quelle: Beijing Rundschau

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